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(Teil 8) 3. Die materiale Wertphilosophie Aus dem Irrationalismus der phänomenologischen Methode folgt scheinbar nicht zwangsläufig bürgerliche Ideologie. Denn man könnte, weil die Methode irrational ist, auch das Gegenteil, z. B. eine kommunistische Weltanschauung ableiten. Doch dem ist nicht so. Die willkürliche Entscheidung zur irrationalen Phänomenologie ist selbst bereits eine Entscheidung zur bürgerlichen Ideologie, nicht nur, weil diese Methode auch zur Begründung von Ideologie erfunden wurde, sondern vor allem deshalb, weil nur eine Klasse, die überflüssige Herrschaft verschleiern muss, will sie mit ihrem ökonomischen System überstehen, auf Irrationalismus angewiesen ist. Eine verändernde soziale Bewegung braucht keinen Irrationalismus, sie kann sich gründlich selbst kritisieren, sie vertritt die objektiven Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung, letztlich auch die wahren Interessen der Mitglieder des Bürgertums selbst. Jede Art Irrationalismus einer solchen Bewegung würde diese nur schaden – oder sie wäre Ausdruck einer neuen Art Herrschaft wie im bürokratischen Kollektivismus der Sowjetunion und der von ihr beeinflussten Länder. Die Entscheidung zum Irrationalismus impliziert – wenn auch nicht theoretisch zwingend, so doch in der praktischen Konsequenz – die Festlegung auf einen ideologischen Standpunkt.
3.1. Reaktionärer Fortschrittsbegriff, Wie jemand zum Fortschritt steht, ob er die kapitalistische Herrschaftsform verteidigt, sie überwinden will oder gar eine rückwärts gewandte Entwicklung anstrebt, ist ein Kriterium meiner Beurteilung der Wertphilosophien, was ihre Wirkung in der Gesellschaft betrifft. Nur eine transitorische Haltung zum Kapitalismus kann einen Fortschritt anstreben, der nicht nur technisch ist, sondern einen Fortschritt zu mehr Humanität, zur Emanzipation der Menschheit von heute überflüssiger Herrschaft des Kapitals. Scheler nimmt eine transitorische Haltung ein, allerdings nicht in Richtung einer Emanzipation des Menschen von Herrschaft überhaupt, sondern zu überwundenen Stufen der Herrschaft: Scheler will die Klassengesellschaft überwinden, nicht indem durch Sozialisierung soziale Gleichheit hergestellt, sondern eine (neue) Ständegesellschaft eingeführt wird. Schelers Haltung zum Fortschritt ist reaktionär. Bereits in seiner Bestimmung der "Gerechtigkeit" hatte er den Wertrang der Personen zum Kriterium der Gerechtigkeit gemacht. Konsequent folgt daraus, dass höherrangige Personen auch einen höheren Stand in der Gesellschaft bilden. Vorbild für diese angestrebte Ständegesellschaft ist die mittelalterliche Ständehierarchie. Am Kapitalismus kritisiert Scheler, dass "die Idee der Solidarität und Gegenseitigkeit" "aller Individuen und aller menschlichen Untergruppen in Schuld und Verdienst, Schicksal und Wert zerbrochen am Boden" liege (Scheler: Bd. 4, S. 297). "Im Wirtschaftsleben siegte im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte mehr und mehr der Geist grenzenloser Pleonexie (Habsucht, Unersättlichkeit, B.G.) und ungehemmter freier Konkurrenz, sei es zwischen Individuen, sei es zwischen Staaten; ein Geist, der jeden mit jedem um so stärker zu neiderregenden Vergleich zwingt, als steigende bürgerliche Gleichheit vor Verfassung und Gesetz resp. der Staaten vor dem nur formal verstandenen modernen Völkerrecht zu diesem Vergleich einladet; der alle 'Stände' in 'Klassen' (Interessengruppen) verwandelte, alle Liebe zum Werke und seiner Qualität auflöste und alles nach dem Geldgewinn bemessen ließ." (ebda.) Der dem Kapitalismus immanente Klassenkampf und der Widerstand der Lohnabhängigen gegen ihre Ausbeutung und den imperialistischen Krieg kann Scheler auf Grund seiner Gefühlstheorie nur als Neid und Ressentiment begreifen. "In jedem der europäischen Großstaaten samt Rußland aber war ein freilich sehr verschieden starker revolutionärer Geist und Wille der Unterschichten tätig - überall geladen von Haß, Neid, Ressentiment gegen Oberschichten, die man herrschen und genießen sah, und die man doch als herrschaftswürdig schon wegen ihres historischen Ursprungs aus demselben Stand, aus dem die revolutionären Unterschichten sich abdifferenziert hatten, nicht anerkennen konnte." (Ebda.) Verhaltensweisen wie Konkurrenz, Gewinnstreben, die durch das Wirtschaftssystem erzwungen werden, macht Scheler zum Ausfluss des "kapitalistischen Geistes", weil er an einer intellektuellen Durchdringung dieses Wirtschaftssystem gar nicht interessiert oder nicht in der Lage ist. Zurück zum Anfang der Katitels Scheler "korporatistisches Staatsideal" Neben der sozialistischen Arbeiterbewegung ist die bürgerliche Demokratie der Hauptgegner seiner politischen Philosophie. Er entwickelt dabei nationalistische und antidemokratische Vorstellungen, die unmittelbar aus seiner materialen Wertethik, besonders seiner Rangordnung der Werte folgen. Die Ranghöhe der Deutschen, die den Hass der Feinde im I. Weltkrieg auf sich gezogen hat, ist für Scheler eine ontologische Größe: "Solange Deutsche Deutsche bleiben, wird niemals der Geist des westlichen Demokratismus und Parlamentarismus bei uns herrschen und niemals werden seine Abarten von Freiheitsidee die unseren sein können; wird niemals auch der gemeinsame Grundglaube dieser in ihren Freiheitsideen sonst so verschiedenen Völker in uns einkehren, daß die Wahrheit und das Gute vor allem und in erster Linie durch die Form des Dialoges möglichst vieler erreicht werde, d.h. jener parlamentarischen Streitkunst, welche englische und amerikanische Studenten schon in den Colleges, ja die Kinder in der Schule üben." Die Zurückgebliebenheit Deutschlands in der Entwicklung, die "Verspätete Nation" (Plessner) wird von Scheler hypostasiert zum Wesen der Deutschen, wenn er unmittelbar fortfährt: "Immer wird für uns der evangelische Satz gelten: Die Wahrheit (und das Gutsein) wird euch frei machen - nie der umgekehrte: Die Freiheit wird euch zur Wahrheit und zum Guten führen." (Scheler: Bd. 4, S. 357 f., letzteres forderte dagegen Kant in seiner Schrift: Was ist Aufklärung?) Die politische Position, die sich in Schelers praktischer Philosophie abzeichnet, ist die des konservativen und reaktionären Kleinbürgertums, das gegenüber der kapitalistischen Dynamik Ängste entwickelt und sich nach einem autoritären und patriarchalischen Staat sehnt, der sich im "organischen Staatsideal" ausdrückt (Hobsbawm: Zeitalter, S. 149) Dieses Staatsideal, das so oder ähnlich auch in anderen europäischen Ländern propagiert wurde, will die Prinzipien des traditionellen Systems der Ständegesellschaft wieder erstarken lassen, ohne eine völlig reaktionäre Wiederherstellung mittelalterlicher Verhältnisse anzustreben. Es reagiert auf die Herausforderungen des liberalen Individualismus ebenso wie auf die der Arbeiterbewegung und des Sozialismus, indem diese neuen Erscheinungen des Kapitalismus anerkannt werden (bei Scheler das wagende Unternehmertum und die begrenzten "Standesinteressen" der Arbeiter), aber nur im Rahmen eines autoritären Staates, der die jeweiligen Gruppeninteressen obrigkeitsstaatlich vermittelt. "Dahinter steht die nostalgische Ideologie einer bestimmten Vorstellung vom Mittelalter oder von einer Feudalgesellschaft, in der die Existenz von Klassen oder wirtschaftlichen Interessengruppen zwar anerkannt wurde, die schreckliche Vorstellung eines Klassenkampfes jedoch durch den bereitwilligen Konsens der gesellschaftlichen Hierarchie gebannt war, weil akzeptiert wurde, daß jeder gesellschaftlichen Gruppe oder jedem 'Stand' in einer konstitutionellen und allumfassend-dirigistischen Gesellschaft eine spezifische Rolle zukommt und jede Gruppe als kollektive Entität beachtet wird." (Hobsbawm: Zeitalter, S. 149) Die Diktaturen von Salazar in Portugal, von Pilsudski in Polen und Franco in Spanien waren geschichtliche Emanationen dieses "organischen Staatsideals". Auch Schelers widersprüchliche Haltung zum Kapitalismus, einerseits eingeschränkte Sozialisierungen zuzugestehen und andererseits das Privateigentum an Produktionsmitteln und die freie Unternehmerinitiative zu verteidigen (siehe nächstes Kapitel), ist typisch für diese konservativ kleinbürgerliche und klerikale Politik. Über die Beziehung dieser konservativ bis reaktionären Staatsdiktaturen und ihrer Ideologien zum Faschismus schreibt Hobsbawm: "Obwohl die Ursprünge und Vorstellungen solcher reaktionären Regime älter und manchmal auch völlig anderes geartet waren als der Faschismus, gab es keine klare Trennlinie zwischen ihnen, denn beide hatten dieselben Feinde, wenn nicht sogar dieselben Ziele." (A.a.O., S. 149) (Zu Schelers Bezug zum Faschismus siehe auch weiter unten.) Zurück zum Anfang der Katitels Schelers Haltung zur sozialistischen Arbeiterbewegung Wenn Marx den Kapitalismus kritisiert und auch Scheler dieses Wirtschaftssystem für die Zersetzung der konservativen Werte verantwortlich macht, dann scheinen sie sich in dieser Kritik geistig zu berühren. Dem ist jedoch nicht so. Scheler kann kein Interesse haben, den Kapitalismus zu verstehen, denn würde er ihn begreifen, müsste er seine Wertphilosophie aufgeben. Stattdessen konstruiert er die Erscheinungen dieses Wirtschaftssystem so um, dass sie mit seiner Wertphilosophie zusammen passen bzw. seine Werte werden zu Organisationskriterien der ökonomischen Tatsachen. Kapital ist nach Scheler nicht "Mehrwert heckender Wert" (Bd. 4, S. 617), der "durch die Dauer der Arbeitszeit", durch den "durchschnittlichen Arbeitsaufwand" bestimmt würde, wie Marx sage, sondern Kapital sei "ein Inbegriff von Wertungsweisen und -formen", ein Gesinnungsethos und eine damit verbundene "Triebstruktur des Menschenleibes" und eine historische Denk- und Anschauungsform eines bestimmten Menschentyps, Kapital sei "an erster Stelle (...) ein sozialethischer oder doch axiologischer Begriff". "Kapital ist nicht ein soziales Verhältnis, sondern Gegenstand des kapitalistischen Geistes" (Bd. 4, S. 624). "jedes Wirtschaftssystem ist ein 'kapitalistisches', in dem der kapitalistische Geist die Führung und Leitung alles Wirtschaftslebens, aller Produktion, Distribution und Konsumtion besitzt. (...) 'Kapitalistischer Geist' ist sozial-ethisch gutgeheißene und als gut und vorbildlich geltende 'Vorherrschaft' unbegrenzten Mehrerwerbsstrebens in der Sphäre ökonomischer Wertträger über alle anderen gleichzeitigen menschlichen Trieb- und Bedürfnisformen. Selbstverwertungstendenz." (Bd. 4, S. 620) Was bei Max Weber nur die Konsequenz seiner Untersuchung über den "Geist des Kapitalismus" war, nämlich dass dieser Geist das Wirtschaftssystem erzeugt habe, für Weber selbst nur eine Hypothese (vgl. Wertphilosophie II, S. 42), wird bei Scheler zur unumstößlichen Gewissheit. Durch diese Subjektivierung des Kapitals, das in Wirklichkeit ein objektives gesellschaftliches Verhältnis ist, kann Scheler und mit ihm alle bürgerlichen "antikapitalistischen" Kritiker den Kapitalismus kritisieren, ohne ihn antasten zu müssen. Es genügt scheinbar eine bessere Ansicht an den Tag zu legen, eine andere Wertgesinnung zu haben, um den Kapitalismus abgeschafft oder in seine Schranken verwiesen zu haben. Es genügt eine "Umwertung der Werte" (ein Buchtitel von Scheler) und alle Probleme dieses Wirtschaftssystems wären gelöst. Wenn man die Gesinnung des kapitalistischen Geistes ändert, dann wird alles gut, obwohl das Kapital weiter die Lohnabhängigen ausbeutet. "Nur Ursachen, die den kapitalistischen Geist beseitigen, könnten den Kapitalismus beseitigen. (...) Nur der christliche Sozialismus der 'neuen Gesinnung', des 'neuen Geistes und Herzens', ist also der wahrhafte und einzige, geschworene Feind des Kapitalismus, der hinter seinen tausend Masken und Rollen in der Geschichte sein wahres Wesen, seinen teuflischen, widergöttlichen Kern zu erkennen weiß." (Scheler: Bd. 4, S. 635) Entsprechend dieses steilen Idealismus muss er den marxistischen Sozialismus abwerten und verfälschen: "Der marxistische Sozialismus ist dagegen in allen seinen Formen nur eine Interessenideologie der Handarbeiter innerhalb des Kapitalismus." (Ebda.) Es gehe ihm nur darum, die "unbegrenzte Lohnsucht" der Handarbeiter zu fördern (a.a.O., S. 635). Gäben die Arbeiter diese "Lohnsucht" tatsächlich auf, dann erhöhten sie automatisch die Profitrate ihrer Ausbeuter, aber diesen Mechanismus kennt Scheler nicht. Bei Scheler läuft sein "christlicher Sozialismus" in seinem neuen Ständestaat auf ein Erhöhung der Ausbeutung der Lohnabhängigen hinaus, aber derart, dass dieses implizierte Ziel nicht mehr wie Kapitalismus aussieht, da der ausgedrückte kapitalistische Geist seiner verblasenen Ideologie gewichen wäre. Da Scheler nur die Erscheinungsformen, genauer: den Schein, des Kapitalismus zur Kenntnis nimmt, nicht aber seine Gesetze wie etwa das Wertgesetz, er ihn also nicht begreift, will er mit seinem "christlichen Sozialismus" den kapitalistischen Geist abschaffen, ohne den Kapitalismus zu beseitigen. In der Konsequenz läuft die Schelersche Kapitalismuskritik auf die Sonntagsgesinnung des Bourgeois hinaus, der Werktags sich mit gutem Gewissen wieder den harten Bedingungen des Geschäftslebens stellt. Zurück zum Anfang der Katitels Schelers Vorstellung von "Sozialisierung" Dass es Scheler nicht ernst ist mit seinem "christlichen Sozialismus" zeigt folgende Äußerung: Bei der Überwindung des Kapitalismus gelte das Prinzip: "Kein erkanntes Sittengesetz und natürlich Rechtsgesetz zu verletzen, keinen erkannten positiven Kulturwert preiszugeben; erst recht keinen religiösen Wert -, z.B. auch nicht unser Ideal vom Verhältnis von Kirche und dem Staat - nur um des Kampfes gegen den Kapitalismus willen. Die christliche Seele lebt im Ewigen, Dauernden, Stabilen (...)" (Scheler: Bd. 4, S. 663) Entscheidend für eine materialistische Position ist die für Scheler "untergeordnete Frage": Was will Scheler ökonomische verändern, wenn er den Kapitalismus überwinden will (nicht abschaffen, das geht schon wegen seiner Drang-These nicht!)? Diese Frage zu beantworten, greift Scheler in die Diskussion um die Sozialisierung der Produktionsmittel nach 1918 in Deutschland ein. Er ist für die Sozialisierung aus ethischen Gründen und weil in der "Anarchie des freien Marktes" das „Bedarfsdeckungsprinzip“ nicht den Vorrang hat. Allerdings sei Sozialisierung nur sinnvoll "unter Wahrung der freien Initiative der Unternehmer und unter rechtlicher Abfindung und Schadloshaltung bezüglich alles dessen, was sie an Eigentumsrechten und Verfügungsgewalten verlieren" (a.a.O., S. 665). Nimmt man die Gründe und die Einschränkungen zusammen, dann ist dies Gesellschaftsideal kein Sozialismus im Gegensatz zum Kapitalismus, sondern ein gelenkter Kapitalismus wie er im ersten totalen Krieg zwischen 1916 und 1918 in Deutschland bestand. Arbeiter und Unternehmer sollen "dieselbe Zurückstellung des puren Selbstinteresses zugunsten des solidarischen Gesamtwohls" leisten, "da wir an sittliche Mächte auch im ökonomischen Leben glauben" (a.a.O., S. 665). (In der ökonomischen Realität liefe die Einschränkung des Konsum der Arbeiter und der Unternehmer auf eine Erhöhung der Investitionsquote des Kapitals hinaus, also gerade jener Pleonexie, die Scheler am Kapitalismus kritisiert.) Schaut man sich seine Liste der Ausnahmen (a.a.O., S. 667) an, die nicht sozialisiert werden dürfen, dann bleibt eigentlich nur das anonyme Kapital der Konzerne und Trust' übrig, und selbst diese Enteignung müsse sich noch aus "technischen Gründen" rechtfertigen. Wendet man Schelers eigene Wissenssoziologie auf ihn selbst an, dann ist dies der Standpunkt des Kleinbürgers, der die Konkurrenz des Großkapitals fürchtet und seine Kritik an deren Übermacht als "christlichen Sozialismus" drapiert. Der entscheidende Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus ist die auch ethisch bestimmte Frage nach der Ausbeutung der Lohnabhängigen mit dem darin inkarnierten Gewaltverhältnis versus Gewaltfreiheit durch Selbstverfügung der Produzenten über ihre Ökonomie. Dieser Unterschied gibt Aufschluss über Schelers Verhältnis zur Marxschen Mehrwerttheorie. Nach der Arbeitswertlehre von Marx wird der Neuwert aufgeteilt in Profit (bzw. Mehrwert) und Lohn. Da es keine Regel für die Aufteilung des Neuwerts gibt, entscheidet die Gewalt, d.h. das Kräfteverhältnis im Klassenkampf über die Aufteilung des Neuwerts (vgl. Marx: Kapital, S. 247 ff.). Scheler, der einmal die Arbeitswertlehre aus katholischer Sicht anerkennt, zum anderen alle Argument gegen die Mehrwerttheorie der bürgerliche Ökonomie vorbringt, ohne auf Marx Widerlegung dieser Argumente einzugehen (vgl. a.a.O., S. 636 ff. und Gaßmann: Ökonomie, S. 30 ff.), erkennt letztlich an, dass der Lohnabhängige einen Teil seines produzierten Wertquantums abgibt, indem er diese Abgabe als "Opfer" deutet. "Das Opfer ist eben ein Grundbegriff menschlicher Besitzung. Nur in einer rein individualistischen Welt (Robinsone) gäbe es darum auch ein Recht auf den vollen Arbeitsertrag. Der Begriff mitverantwortlicher Kooperation an gemeinsamen Werken schließt logisch dieses Recht aus." (A.a.O., S. 638) Dass dieses "Opfer" nicht nur in Form von Steuern z.B. für Schulen ausgegeben wird, sondern in seinem wesentlichen Teil kostenlos vom Eigentümer der Produktionsmittel angeeignet wird, verschweigt Scheler wohlweislich oder moralisiert diesen Sachverhalt mit dem Begriff der Verantwortung, den die anonymen Aneigner gar nicht mehr haben. Stattdessen werden alle Forderungen der Arbeiter nach mehr Lohn als verwerfliche Ausbreitung des Strebens nach Lust oder als "unbegrenzte Lohnsucht" oder als Neid auf die Wohlhabenden diffamiert. Scheler vertritt also eindeutig die Kapitalseite gegenüber den Lohnabhängigen. Entsprechend seines Gerechtigkeitsbegriffs, wonach die höherrangige Person auch mehr Rechte beanspruchen darf als die niederrangige, rechtfertigt er das Privateigentum ebenso wie das Erbrecht, selbst wenn das Eigentum ursprünglich auf „Okkupation“ zurückgehe (Scheler: Ressentiment, S. 84). Da er den Sachverhalt von seiner willkürlich konstruierten Wertphilosophie aus betrachtet, kann er in einer Forderung nach Änderung der Eigentumsordnung nur das Ressentiment am Werke sehen, das sich als Neid äußert. „Wer sähe es dieser 'Theorie' nicht an, daß sie bereits durch den Neid der arbeitenden Klassen auf die nicht durch Arbeit zu ihrem Besitz gelangten Gruppen gebildet ist, und eben darum das Eigentumsrecht dieser für prinzipiell illusorisch oder nur für die Folge eines Gewaltzustandes erklärt, den abzuschütteln man ein 'Recht' habe?“ (Scheler: Ressentiment, S. 84) Wie aktuell diese Ideologie Schelers ist, zeigen die Reden von Konservativen im Bundestag, die regelmäßig Kritik an der Eigentumsdifferenz bzw. von Forderungen nach deren Zurückdrängung als Neid oder „Neidkampagne“ diffamieren. Man kann das Werk Schelers heute lesen als eine Phänomenologie von Vorurteilen und Ideologemen zur Abwehr sozialistischer Forderungen und zur Sicherung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Selbst dort, wo Scheler sich kritisch gegenüber dem Kapitalismus gibt, läuft alles auf dessen Apologie hinaus. Zurück zum Anfang der Katitels 3.2. Die "Zerstörung der Vernunft" In den beiden ersten Teilen meiner Kritik der Wertphilosophie habe ich gezeigt, wie nach Hegel der bürgerliche Geist zum Irrationalismus tendiert. Lotze als der erste Philosoph, der das weltanschauliche und ideologische Bedürfnis zum Grund seiner Philosophie gemacht hatte, erzeugte gerade in dieser Hinsicht eine neue Tradition, die über Scheler bei Theodor Lessing und der Buddhismus-Welle der Zwanziger Jahre ihren ersten Höhepunkt findet. Der Grundsatz dieses Irrationalismus ist von Lessing so formuliert worden: „Daß die ältesten Mystiker und Väter immer und immer wieder das Denken bezeichnen als die Pest, den Krebs, die Hölle des menschlichen Geschlechts; daß sie den Gott des Geistes gleichsetzen dem Satan und die Vernunft eine Hure nennen, man kann alle diesen Widersinn der christlichen Jahrhunderte nur dann aus der Tiefe begreifen, wenn man groß ward im Irrgarten der europäischen Philosophie, in welchem (seit Descartes) das Seiende als ein im Bewußtsein Gegebenes, das Erleben als denkendes Erleben betrachtet wird und die Worte: Leben, Anschauung, Erfahrung usw. unaufhörlich zum Mittelpunkt völlig blutlosen Philosophierens gemacht werden, ohne Gefühl für die oberste Wahrheit, welche Indien nie verloren ging: daß der sicherste Totschläger des Lebens – der Begriff: Leben ist, daß ein Wissen vom Leben nicht möglich ist; ... maßen alles Wissen immer nur sein kann: das nachträgliche Sinngeben.“ (Lessing: Kultur, S. 36 f.) Diese Kritik an Vernunft und diskursivem Denken kann Theodor Lessing aber nur darstellen in Form von diskursivem Denken und vernünftiger Rede; Lessing widerspricht sich mit seinem literarische Werk selbst. Wäre er konsequent, dann müsste er schweigen. Scheler, dessen materiale Wertethik und Phänomenologie für Theodor Lessing nur ein „Modewahn“ ist (a.a.O., S. 37), hat dagegen noch einen wissenschaftlichen Anspruch, der bei ihm aber in einen offenen Irrationalismus mündet. Selbst die streng sich wissenschaftlich gebende Philosophie des logischen Positivismus von Mach, Carnap und Neurath fördert den Irrationalismus, indem sie die Vernunft nicht nur auf technische reduziert, sondern auch ihren Gegenstand, wie er in der philosophischen Tradition überliefert ist, abstrakt zugunsten eines formalistischen Scientismus negiert. Ähnliches gilt für den Neukantianismus vor allem von Rickert, dessen Wertbegründung und Fundierung letztlich ebenfalls in irrationalen Setzungen mündet. Wenn die vorherrschende Philosophie einer Klasse in ihren entscheidenden Partien die Wirklichkeit, wie sie in ihrer Ökonomie vor ihr liegt, verdrängt und stattdessen in Irrationalismen abgleitet, dann verliert diese Klasse und mit ihr die, welche geistig von ihr partizipieren, ihr Realitäts- und Selbstbewusstsein. Sie hat dann kein Totalitätsbewusstsein mehr über ihre Welt und muss zu Grunde gehen. Dagegen könnte man einwenden, dass das Bürgertum kein Selbstbewusstsein über sein Dasein brauche, weil die Zwänge der Kapitalökonomie ein solches nicht benötigten, um zu funktionieren, dazu genüge ein ökonomisches und fachliches Funktionieren. Aber die kapitalistische Ökonomie braucht schon lange eine politisch-ökonomische Steuerung, die zumindest ein Minimum von Totalitätsbewusstsein verlangt. Das Klima des Irrationalismus, das die bürgerliche Philosophie in fast allen ihrer Schattierungen geschaffen hatte, war denn auch eine geistige Voraussetzung des deutschen Faschismus, der dieses Bürgertum in seiner Existenz zu vernichten drohte. Zurück zum Anfang der Katitels Irrationalismus Schelers und der Faschismus Schelers Bezug zum Faschismus, dessen Gegner er in einigen oberflächlichen Aspekten ist, liegt tiefer begründet als in seinem konservativen Staatsideal, das Anklänge an das faschistische hat. Mit seiner materialen Wertlehre auf phänomenologischer Basis hat Scheler die "Zerstörung der Vernunft" gefördert, den Irrationalismus unter dem Schein von wissenschaftlicher Objektivität weiter als normale geistige Haltung bürgerlicher Philosophen populär gemacht und mit seinen philosophischen Anregungen wie der philosophischen Anthropologie als Grundlagenwissenschaft die Ideologisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins gesteigert. Der deutsche Faschismus konnte sich auf diesen Irrationalismus stützen, und da keine anerkannte praktische Rationalität den Ideologemen Einhalt gebieten konnte, war es gleichgültig, ob man wie Scheler einen hierarchischen Gerechtigkeitsbegriff einsetzte oder das Führerprinzip, ob man einen diesseitigen Gott zur letzten Begründung inaugurierte oder die Hitlersche Vorsehung, ob man das Heilige als obersten Wert annahm oder die Nation (Hitler) oder den Krieg als Gottesdienst (Scheler und Goebbels) propagierte. Motive der irrationalen Philosophie von Scheler kehren im ideologischen Eklektizismus des deutschen Faschismus wieder. Hitler bedient sich in seiner Propaganda der von Scheler und anderen Wertphilosophen erzeugten Ideologeme. So ist ihm die "Welt des Gefühls" von außerordentlicher Stabilität, so dass Propaganda daran anknüpfen müsse. (S. 20; diese und die folgenden Zitate aus Hofer: Dokumente) Der Schelersche Ordo amoris erscheint bei Hitler als Vorlage für die Propagandastrategie: "Der Glaube ist schwerer zu erschüttern als das Wissen, Liebe unterliegt weniger dem Wechsel als Achtung, Haß ist dauerhafter als Abneigung, und die Triebkraft zu den gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherrschenden wissenschaftlichen Erkenntnis als in einem sie beseelenden Fanatismus und manchmal in einer sie vorwärtsjagenden Hysterie." (a.a.O., S. 20; aus: "Mein Kampf") Und wenn es gegen den Bolschewismus geht, greift Hitler auf die Werte zurück: "Ich zittere für Europa bei dem Gedanken, was aus unserem alten, menschenüberfüllten Kontinent werden soll, wenn durch das Hereinbrechen dieser destruktiven und alle bisherigen Werte umstürzenden asiatischen Weltauffassung das Chaos der bolschewistischen Revolution erfolgreich sein würde." (S. 231 f.; Hitler in einer Rede 1936) Gegen diesen Umsturz aller "bisherigen Werte" müsse man als höchsten Wert die Nation setzen. Dies begründet Hitler mit der - wenn auch verflachten - Schelerschen Trieblehre: "Ich bin Deutscher. Ich liebe mein Volk und hänge an ihm. Ich weiß, daß es nur dann glücklich sein kann, wenn ihm das Leben nach seinem Wesen und seiner Art möglich ist." (A.a.O., S. 231) Selbst die Situierung der Gottheit im Menschen kommt bei Hitler vor, wenn er als Ziel der Jugenderziehung anstrebt: "In meinen Ordensburgen wird der schöne, sich selbst gebietende Gottmensch als kultisches Bild stehen (...)" (a.a.O., S. 88). Und zuletzt, aber nicht am unwichtigsten: Scheler und der Faschismus haben die gleichen Gegner: den Liberalismus einschließlich der bürgerlichen Demokratie und die sozialistische Arbeiterbewegung. Kein Zweifel, Scheler war kein Faschist, doch sein Beitrag an der Zerstörung der gesellschaftlichen Vernunft, vor allem im Bürgertum, hat zweifellos den Erfolg des Faschismus gefördert. Wie sich diese Zerstörung praktisch auswirkte, hat Alfred Sohn Rethel registriert. Er berichtet aus dem Jahre 1933 wie die Manager großer Betriebe, bürgerliche Politiker und die Vermögenden die Machtübernahme der deutschen Faschisten in der Weltwirtschaftskrise geistig begleiteten. „Hitler war mit seiner Rolle in Harzburg sehr unzufrieden. Er haßte es, sich von Hugenberg vorführen zu lassen und sich in seiner Abhängigkeit von den Großindustriellen zu erkennen zu geben. Er mußte auf seinen antikapitalistischen Appell bedacht sein, wenn auch gänzlich auf dem kapitalistischen Boden, aber so, daß immer beide Seiten des Widerspruchs zugegen waren, damit dort, wo alle rationale Überlegung abtrat, die Mystik seines Führertums wirksam werden konnte. Ich erinnere mich an eine Redaktionskonferenz der Führerbriefe (ein unabhängiges Organ der Bourgeoisie) zu einem späteren Zeitpunkt, wo gerade dieses Phänomen zu Sprache kam, weil Franz Reuter schockiert von einer Unterredung mit Schacht zurückkehrte, in der gerade dieser, an dem sein ganzes Vertrauen hing, an die Grenze des ratlosen Achselzuckens geraten, in den Ruf ausgebrochen war: 'Der Führer wird’s schon machen!' Das hatte Reuter um so tiefer betroffen, als er dasselbe bereits bei Schwerin-Krosigk, Hitlers Finanzminister, beobachtet hatte.“ (Sohn Rethel: Faschismus, S. 71) Zurück zum Anfang der Katitels Diese „Ohnmacht des Geistes“ (Lukaćs, Lenk), eines Geistes, der sich an der Garderobe zur Macht aufgibt und nicht mehr zur Analyse seiner Situation, noch nicht einmal seiner (langfristigen) Interessen fähig ist, wurde in der bürgerlichen Philosophie systematisch vorbereitet. Die Wertphilosophie von Lotze, über Rickert bis zu Scheler als ein wesentlicher Teil der bürgerlichen Philosophie lässt sich als Abstieg in den Irrationalismus begreifen, in die „Zerstörung der Vernunft“ (Georg Lukaćs). Demnach war Hitler und seine kriminelle Mannschaft kein „Betriebsunfall“ der durch den verlorenen Krieg, die Revolution und die Weltwirtschaftskrise verunsicherten herrschenden Klasse, sondern neben den objektiven ökonomischen Ursachen, die es ebenfalls in Frankreich oder den USA gab, ohne dass er sich dort durchsetzte, auch die notwendige Folge der Selbstaufgabe des bürgerlichen Denkens in Deutschland. Wenn die bürgerliche Ideologie, die ja als Ideologie immer auch reales Bewusstsein enthält, zur „Lebenslüge“ und zur irrationalen Weltanschauung wird, dann gibt das herrschende Bewusstsein seinen Geist auf und wird zur Spinnerei oder zur bloßen Propaganda, die von sich aus prinzipiell kein Selbstbewusstsein haben kann, denn dieses setzt ein Minimum an Realitätsbewusstsein voraus. Schelers Philosophie stellt eine Verunglimpfung des Geistes dar, der letztlich auch den letzten Schritt zum offenen Irrationalismus in seiner theologischen Fundierung hinab schreitet. Die Abwertung des Geistes in Form seiner Verherrlichung bei Scheler benötigt zur völligen Exekution des Geiste bei Theodor Lessing nur einen kleinen Schritt. Diesen Abwärtstrend des Geistes zu seiner Vernichtung teilen die philosophierenden bürgerlichen Nazigegner mit den Faschisten (siehe Lukaćs: Zerstörung), deren Erscheinungsformen sie teilweise äußerst scharfsichtig zu analysieren wissen – jedenfalls was Theodor Lessing betrifft. Dass Lessing von den deutschen Faschisten ermordet und Schelers Werk unter deren Herrschaft verpönt war, ist kein Argument für ihren akademischen Irrationalismus. Die Resultate ihrer Philosophie, das Wertegeraune, hat der Führer und seine Propagandamannschaft übernommen, weil es schon damals populär war, indem er als höchsten Wert die deutsche Nation ansah, der er dennoch 1945 den Untergang wünschte. Philosophie schlägt bei Scheler nicht erst in der Konsequenz seines Denkens in Ideologie um, sondern die ganze Konstruktion seiner materialen Wertethik ist auf ihre ideologische Funktion angelegt, insbesondere durch die phänomenologische Methode, die irrational und willkürlich ist. Er unterscheidet sich von Lotze, der das bürgerliche Bedürfnis nach geistiger Absicherung und ideologischer Verklärung der Wirklichkeit direkt zum Programm erhebt (vgl. Wertphilosophie I, S. 47) dadurch, dass er sich auf Objektivität und Fundierung der Ethik im ontologisch Seienden beruft, ohne dies allerdings anderen einsichtig machen zu können. Durch Schelers Hypostase von ethischen Bestimmungen, die der Tradition entnommen wurden, wird seine Philosophie zum schlechten Idealismus, der sich nicht nur vor dem Stand des Denkens, etwa Kants Kritik der Ontologie, blamiert, sondern als „Modephilosophie“ (Theodor Lessing) die Verfallszeit solcher Moden noch beschleunigt. Eine autonome Moral, die nicht mit der heteronomen Wirklichkeit übereinstimmen kann, hat immer einen idealen Aspekt, sie ist als bessere Möglichkeit der schlechten Gegenwart zunächst nur im Bewusstsein. Dieser Idealismus ist nur vernünftig legitimierbar, wenn eine Analyse der sozialen Bedingungen vorliegt, die sich mit den idealen Aspekten der Moral in historischer Perspektive vermitteln lässt. (Eine solche Vermittlung des rationalen Gehalts der Moralbestimmungen habe ich in meiner „Ethik des Widerstandes“ versucht, vgl. insbesondere S. 129-158.) Bei Scheler dagegen ist seine materiale Wertethik irrational, um nicht von Schwindel zu reden, wie seine Wirklichkeitsauffassung bereits die Geltung dieser Wertethik fälschlich unterstellt. Scheler materialisiert seine idealen Werte und idealisiert dadurch zugleich die soziale Wirklichkeit. Was die kapitalistische Gesellschaft realiter gewaltförmig erzeugt, sekundiert Scheler durch geistige Legitimierung. Was bleibt, ist die Brutalisierung der Menschen mit ihren enttäuschten Wertflausen durch den Weltkrieg, die Erkenntnis der „Sinngebung des Sinnlosen“ und der heilsame ästhetische Zynismus von „Da Da“, dem Lallen, das schließlich die Werte ersetzt. Die gesamte Schelersche Philosophie reiht sich dadurch in den Verfall des bürgerlichen Geistes ein, einen Verfall, den sie beschleunigt. Zurück zum Anfang der Katitels Mit der Kritik an der Erfindung der Wertphilosophie (Lotze), an der subjektiven (Windelband, Rickert) und der objektiven Wertphilosophie (Scheler) ist diese Aufsatzsammlung abgeschlossen. Insgesamt stellt sich die moralische Axiologie dar als bürgerlicher Versuch, den objektiven Schwierigkeiten einer Vernunftmoral ins irrationale auszuweichen. Wenn eine vernünftig bestimmte Moral an den unvernünftigen ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen scheitert, dann kann das Denken entweder mit dieser Moral die soziale Wirklichkeit kritisieren oder in irrationale Konstruktionen ausweichen, um den Widerspruch zwischen autonomer Moral und antagonistischen Verhältnissen im Schein aufzulösen. Letzteres macht die Wertlehre, sie erweist sich dadurch als falsches Bewusstsein. Ihre Begründung aus dem menschlichen Bewusstsein im Neukantianismus hat sich ebenso als falsch erwiesen wie ihre Fundierung in einer scheinbar objektiven ontologischen Sphäre. Damit sind prinzipiell die Wege zur Begründung der Werte ausgeschritten, wie immer man die einzelnen falschen Philosopheme noch differenzieren und modifizieren mag. In allen Varianten der Wertphilosophie wurde nachgewiesen, dass sie auf den Schein, den die kapitalistische Ökonomie erzeugt, hereinfällt, weil sie die Werte abstrakt zum Konstruktionsprinzip für diesen Schein macht, nicht aber auf einer wahren Analyse der Erscheinungen beruht, die zum Gesetz der Erscheinungen vordringt. Das falsche Bewusstsein wird dadurch zum notwendig falschen Bewusstsein. Da die Denker der Werte alle aus dem Bürgertum kommen, deren Vorurteile tragen und das Bedürfnis dieser Klasse nach geistiger Absicherung befriedigen, dient dieses notwendig falsche Bewusstsein zur Herrschaftssicherung – es erfüllt exakt den Begriff der Ideologie. Hinzu kommt noch die besondere Situation des geistigen Lebens in Deutschland, das durch die ökonomische und politische Zurückgebliebenheit bedingt ist: die sozialen Ängste durch die unbeherrschbare Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise äußern sich in reaktionärer Sehnsucht nach überwundenen scheinbar sicheren Zuständen. Die Wertphilosophie ist deshalb konservativ (bei Lotze und Rickert) und reaktionär (bei Scheler). Sie schafft zusammen mit offen irrationalen Strömungen in Deutschland ein Klima der Abwertung der Vernunft, auf das sich der deutsche Faschismus verlassen konnte. Ethik als Wertphilosophie, soweit sie in anderen philosophischen Strömungen vorkommt, läuft letztlich auf den Skeptizismus hinaus. So will die „Metaethik“ des Positivismus gar nicht mehr irgendwelche Werte einsichtig begründen, sondern nur deren Anspruch reflektieren. Alles Gerede von westlichen Werten, Grundwerten oder gar deutscher Leitkultur, ist deshalb von vornherein eine subjektive Setzung, die sich bestenfalls durch Überredung oder gesetzlichen Zwang (etwa durch Einwanderungsgesetze) durchsetzen lässt. In der Gegenwart gibt es keine ernst zu nehmende Wertphilosophie mehr, die Abfolge der „Modephilosophien“ und anderer ideologischer Formen des philosophischen Denkens ist über diese hinweggegangen. Paradoxerweise wird der Wertbegriff in der Politik und der bürgerlichen Publizistik dennoch immer populärer. Das zeugt vom geistigen Niveau des Führungspersonals der herrschenden Klasse. Der Irrationalismus der Wertphilosophie, als ein Teil der Zerstörung der Vernunft, hatte schon einmal 1933 zum Abtreten der Macht an Abenteurer geführt; bei einer ähnlich schwerwiegenden Krise der Ökonomie hat die herrschende Klasse auch heute keine geistigen Mittel, dem zu widerstehen. Ende des Textes Zurück zum Anfang des Kapitels Wenn Sie uns Ihren Kommentar schreiben
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