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Inhalt Wie steht es mit der Moral
in der bürgerlichen Presse? "der nächste Amoklauf kommt bestimmt" „Nach dem bewaffneten Kampf"
Wie steht es mit der Moral Ethik im Redaktionsalltag. Hrsg. v. Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses; Deutscher Presserat, Reihe: Praktischer Journalismus Bd. 63, Konstanz 2005. Ethische Einsichten müssen in die Praxis hineinwirken. Dem will diese Publikation dienen. Das Buch will allen Journalisten, vor allem aber den Berufsanfängern den moralischen Aspekt ihrer Tätigkeit näher bringen. Nach einer mehr grundsätzlichen Einleitung folgen Erfahrungsberichte von namhaften Journalisten. Der Hauptteil enthält Fallbeispiele, denen jeweils eine Beschwerde zu Grunde gelegen hat, und ihre moralische Beurteilung durch den Deutschen Presserat. Der Presserat ist eine moralische Instanz und kann einen „redaktionellen Hinweis“, eine „Missbilligung“ und als härteste Konsequenz eine „öffentliche Rüge“ aussprechen (S. 19), die eine Zeitung auch tunlichst abdrucken sollte, will sie nicht ihre Reputation verlieren. Juristische Konsequenzen hat die Beurteilung von Verstößen durch den Presserat nicht, es sei denn, ein Geschädigter verklagt die Zeitung. Obwohl Journalisten sorgfältig mit ihren Begriffen umgehen sollten, wird in dem Buch durchgängig von „Ethik“ gesprochen, obwohl es eigentlich um Moral geht und die Verstöße gegen diese. Anscheinend klingt „Ethik“ besser als „Moral“, wie schon Fontane im 19. Jahrhundert bemerkte. Lediglich die ersten Artikel enthalten Ansätze zur Reflexion der Moral, also Ethik, ansonsten wird der Pressekodex des Deutschen Presserates als moralische Norm vorausgesetzt, ohne diese Norm selbst noch einmal ethisch zu reflektieren. Der Hauptteil mit den Fallbeispielen ist so gegliedert, dass er der Entstehung eines Artikels folgt: Vor der Veröffentlichung – Veröffentlichung – Nachbereitung. In dieser Gliederung nimmt der Teil „Veröffentlichung“ wieder den weitesten Platz ein, er enthält Unterthemen wie „Sorgfaltspflicht und Augenmaß“, „wirtschaftliche Interessen“, „Achtung der Persönlichkeit“, „Vor Gericht“, „Sensation und Gewalt“ u.a. Im Anhang werden die „Publizistischen Grundsätze (Pressekodex)“ im Zusammenhang abgedruckt, nachdem sie bereits in Bezug auf die Fallbeispiele ausgiebig zitiert wurden. Außerdem enthält der Anhang “Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei“ sowie ein kommentiertes Literaturverzeichnis, das allerdings außer Susan Sonntag mit einem Essay über Bildethik keinen namhaften Philosophen aufweist. Abgeschlossen wird das Buch durch ein Sach- und Personenregister. Dieses Sachbuch über die Moral im Redaktionsalltag beginnt mit einer Apologie der freien Marktwirtschaft in der Presselandschaft. Zunächst kritisiert Manfred Protze das „Organisationsprinzip des Marktes“: „Fragen der Gerechtigkeit und der Humanität kann der Markt nicht beantworten.“ (S. 14), er liefere keine Maßstäbe „für die Schutzwürdigkeit“. „Barmherzigkeit kennt er ebenso wenig wie Nächstenliebe oder Solidarität.“ Da der Markt „darwinistisch“ funktioniere, blieben journalistische „Werte“ wie „Wahrhaftigkeit“, „Achtung von Würde und Privatsphäre, Schutz vor kollektiver und personaler Diskriminierung“ oftmals auf der Strecke. Doch diese scheinradikale Kritik entpuppt sich schnell als konservatives Denkschema zur Rechtfertigung der Marktwirtschaft im Medienwesen und seiner Eigentumsverhältnisse. Als Alternative zum Markt in der Medienlandschaft kann sich Protze nur ein „obrigkeitsstaatlich reguliertes und bürokratisch exekutiertes Verfahren“ wie in der ehemaligen DDR vorstellen, als „Zuteilungsverfahren“, als ein „staatlich organisierte(s) Verteilungsverfahren“, das keine „Garantien für Grundwerte“ gewährleiste. Nach dieser konservierenden Kritik des Marktes und ihrer gleichzeitigen Zurücknahme, indem die heutige Marktwirtschaft zur besten aller Welten erklärt wird, kommt er zur Lösung der moralischen („ethischen“) Probleme des Journalismus: „Wir sollten die Marktregeln durch soziale und humane Regeln ergänzen“ (S. 14). Der Hauptteil des Buches besteht dann darin, Fälle aufzuzeigen, in denen die journalistische Moral versagt hat oder die „ethischen Regeln“ den Medienmarkt positiv ergänzt haben. (Letzteres kommt kaum vor.) Diese prinzipielle Einleitung von Protze ist in vielerlei Hinsicht falsch. Der Markt hat nie existiert, ohne staatliche Normierung, welche die Konkurrenten zur Einhaltung dauerhafter Marktbeziehungen zwangen bis hin zur Durchsetzung von Menschenrechten – es sei denn, der Markt uferte aus zum Raubzug weniger gegenüber schwächeren Konkurrenten. Rechtliche und moralische Regeln wie der Zwang zur Einhaltung von Verträgen, wie zur moralischen Anerkennung der anderen Personen als freie und gleiche in den Marktbeziehungen gelten auch schon für die einfache Marktwirtschaft der Antike und des Mittelalters. Das sind keine „Werte“ oder gar „Grundwerte“, sondern ideelle Existenzbedingungen einer dauerhaft funktionierenden Marktwirtschaft. Wenn für das Buch der „Pressekodex“ des Deutschen Presserates „(…) die verbindliche ethische Qualitäts-Zusage“ der ganzen Branche ist, dann geht es in diesem Buch nicht um ethische Prinzipien von Ideologen wie Protze, sondern um „Anregungen für die Umsetzung“ des verbindlichen Verhaltenskanons, um überhaupt den Medienmarkt in seiner Funktion als „vierte Gewalt“ aufrecht erhalten zu können. Dass anscheinend solch eine moralische Anleitung notwendig ist, zeigt dem Leser, wie brüchig selbst die Marktstandards angesichts großer Medienkonzerne geworden sind. Dass es für die Autoren dieser „Ethik“ wie für Protze keine Alternative zur Marktwirtschaft („Ein Kapitalist schlägt viele tot“ – Marx) gibt, zeigt nicht nur die mangelnde soziale Fantasie bürgerlicher Journalisten, sondern auch die ideologisierende Wirkung des Marktes. Kaum jemand wird in einer bürgerlichen Zeitung Journalist, der sich offen gegen die kapitalistische Marktwirtschaft ausspricht oder dies gar in seinen Artikeln kundtut. Die Eigentumsverhältnisse allein reichen aus, um eine soziale Auslese ideologischer Art bei der Einstellung von Journalisten durchzusetzen. Die Ideen der Herrschenden, d. h. der Kapitaleigner der Medien, sind die herrschenden Ideen, weil sie allein die Mittel zur massenhaften Verbreitung ihrer Ideen haben, wie immer auch sie in diesem Rahmen den Meinungsstreit pflegen. Von der „Zeit“ bis zur „Bildzeitung“ wird kein prinzipieller Kritiker des Kapitals mit sozialistischer Perspektive geduldet. Dieses ethische Problem kommt aber in der „Ethik im Redaktionsalltag“ nicht vor. Es ist aber zum Verständnis der Fälle, die gegen den „Pressekodex“ verstoßen, ein notwendiges Analysekriterium. Marx hat deshalb schon im 19. Jahrhundert gefordert, dass die erste Freiheit der Presse sein muss, kein Gewerbe zu sein. In dem Buch geht es also nicht um die Moral der Journalisten überhaupt, sondern um die Moral von bürgerlichen Journalisten in den Medien, die als Geschäftsbetrieb geführt werden und Gewinn abwerfen müssen, wenn sie nicht eingehen wollen. Das muss nicht heißen, dass die moralischen Prinzipien für seriösen Journalismus per se falsch sind, wer könnte etwas gegen die „Achtung der Wahrheit“ haben (Ziffer 1 des Pressekodex). Die Tatsache aber, dass Ziffer 1) bis 3) (und noch einige Unteraspekte) von 16 sich mit der „Wahrheit“ beschäftigen müssen, deutet darauf hin, wie prekär diese Forderung in der journalistischen Praxis ist. Denn ex negativo entstand aus der Praxis dieses Regelwerk. Selbst aus einigen Reflexionen kann man auch in diesem Werk erkennen, wie prekär das Wahrheitsproblem ist, etwa wenn ein ehemaliger Chefredakteur der Bildzeitung schreibt: „Hinter jeder Geschichte steckt nicht nur eine Wahrheit. Und dahinter vielleicht noch eine andere und hinter dieser wieder eine andere: Oder die Wahrheit ist eine Mischung aus vielen Wahrheiten.“ (S. 54) Hier wird aus der Tatsache, dass es oft für Journalisten schwierig ist, die Wahrheit herauszufinden, der Begriff „Wahrheit“ in allgemeiner Skepsis aufgelöst. Dann ist es leicht die sprichwörtlichen Lügen der Bildzeitung im Nachhinein zu rechtfertigen: „(…) bei aller Vorsicht ist es immer wieder passiert, dass dann doch die falsche Geschichte in der Zeitung stand.“ (S. 54 f.) Wer das Buch von Wallraff „Der Aufmacher“ gelesen hat oder das Anti-Bild-Blog verfolgt (http://www.bildblog.de/- Fremdseite) weiß, dass es oft nicht mangelnde Vorsicht, sondern bewusste Lüge ist, um die „Sensationsgier“ (ebda.) zu stillen und damit hohe Auflagen, also Profit zu sichern. Aber auch bei seriösen bürgerlichen Zeitungen schlägt das Geschäftliche negativ auf den „Informationsauftrag“ der Zeitungen durch. W. Schneider, Nachrichtenchef der „Süddeutschen Zeitung“, schreibt über erfundene Aufmacher und das Hochpeitschen von Kampagnen in den „60 Tagen“, in denen die Zeitungen kein Topthema haben: „Die 60 ereignislosen Tage trieben eine Tendenz, eine Versuchung auf die Spitze, die dem Nachrichtenjournalismus immer innewohnt: die Suche nach dem Ungewöhnlichen, Regelwidrigen, Bedrohlichen, Dramatischen. Wenn ein Hinterbänkler im Bundestag in die Zeitung kommen will, dann muss er bekanntlich entweder krassen Unsinn vorschlagen (wie die Empfehlung, Mallorca zum 17. Bundesland zu machen) oder die eigene Partei beschimpfen; lobt er sie und leistet er einfach nützliche Arbeit, so ist er für Journalisten ein Niemand, ein Nichts.“ (S. 32) Diese Einsicht stellt überhaupt die Frage nach den Auswahlkriterien. Sind diese hauptsächlich an der Verkäuflichkeit ausgerichtet, dann kann die bürgerliche Presse noch nicht einmal ihren „demokratischen Auftrag“ erfüllen, den „mündigen Bürger“ zu informieren, und zwar mit Nachrichten, nach denen man sich richten kann. Schneider hat für die Missinformation der Leser ein treffendes Beispiel angeführt: „Welcher Schaden also wäre entstanden, wenn BSE niemals zum Aufmacher oder zur ersten Nachricht der Tagesschau geworden wäre? Keiner! Es gab ja in Deutschland nicht einen Toten und nicht einen Kranken durch den Rinderwahn. Dagegen kommen auf Deutschlands Straßen jeden Tag 17 Menschen um, 120 jede Woche, mehr als 6000 im Jahr. Wann hätte man darüber je einen Aufmacher gelesen? 6000 Tote durchs Auto, was ist das schon – verglichen mit null Toten durch den jüngsten Umweltskandal!.“ (S. 33) Solche Schieflagen entstehen automatisch, d. h. ohne Schrifttumskammer oder Interessenlobby, allein aus Verpflichtung auf das Geschäft, dem bürgerliche Journalisten dienen, und ihrer affirmativen Grundeinstellung, sodass sie von sich aus niemals die Autoindustrie und den durchgesetzten Individualverkehr prinzipiell kritisieren können. Folgenschwer war diese Tendenz zur Affirmation des Bestehenden im Jugoslawienkrieg zu sehen, als auf einem Schlag alle größeren Zeitungen auf Kriegspropaganda umgeschwenkt sind. Ein anderes Beispiel ist die neoliberale Gleichschaltung der Medien, davon zeugt inzwischen jeder Kommentar zu Wirtschaftsthemen und jeder Artikel, der sich mit der Lohnfrage im weitesten Sinne befasst. Obwohl in Deutschland auf Grund seiner ständigen Produktivitätssteigerung immer mehr Reichtum in immer kürzeren Zeiten produziert wird, 07.05.2007 ie Politiker aus SPD, CDU und FDP sowie die Massenmedien den Lohnabhängigen seit 10 Jahren die Kaufkraft. Wo ist die bürgerliche Zeitung, die diese Schieflage grundsätzlich zum Thema macht? Sie kann es nicht, weil sie sonst keine bürgerliche Zeitung mehr wäre. Wer sich also über die sozialen Wahrheiten informieren will, der darf nicht die gewerbliche Presse lesen, sondern sollte sich etwa im Internet bei Labournet, Indymedia oder ähnlichen Seiten informieren. Diese Schieflage der bürgerlichen Presse, der eigentliche ethische und moralische Skandal, kommt in der „Ethik im Redaktionsalltag“ nicht vor. Ihre Berichterstattung, soweit sie seriös ist, d. h. nicht Fakten fälscht, bewegt sich prinzipiell im affirmativen Raum prokapitalistischer Information. Die Darstellung und Auswahl von Fakten ohne durchdachte Gesellschaftstheorie ist von vornherein ideologisch, weil die Oberfläche dieser Gesellschaft nur das Quidproquo der wahren Verhältnisse spiegelt. Worum es bei der „Freiheit des Journalismus“ wirklich geht, sagt A. Baum: Die Zeitungsmacher sollen Kritik üben, „wo sich das Mobile des gesellschaftlichen Lebens zu verhaken droht“ (S. 23). Das aber ist unter den bestehenden Verhältnissen die Anpassung der Gesellschaft an die Bedürfnisse des Kapitals, die Anpassung an die permanente Produktion von Produktivität, die ständige Kulturrevolution ohne wirklich Neues zu erzeugen. Die zugleich geforderte „Fairness“ erweist sich dann als eine unter Manipulateuren, die gar nicht wissen, dass sie manipulieren, weil ihnen das theoretische Rüstzeug fehlt, ihre Verhältnisse zu durchschauen, und der Wille, dies zu tun. Bedenkt man dies, dann sind auch die Fallbeispiele in diesem Buch durchaus mit Erkenntnisgewinn zu lesen. Zwei Beispiele mögen die dargestellten Fälle belegen. Ein Nachrichtenmagazin veröffentlicht einen Artikel über neue Medikamente gegen Aids. In den Titelschlagzeilen wird vom „Aids-Wunder“, vom „Ende des Sterbens“, von einem neuen Wirkstoff, der „80% der Patienten retten“ könne, gesprochen. Eine Leserin kritisiert diese Schlagzeilen, weil sie „unberechtigte Hoffnungen“ machten, den „Nicht-Infizierten falsche Sicherheit“ vorgaukelten, und beschwert sich beim Presserat. „Diese Form von Journalismus, der es unter dem Deckmantel der Seriosität nur um Effekthascherei gehe, hält die Beschwerdeführerin für unverantwortlich.“ (S. 91) Die Redaktion erwidert gegenüber dem Presserat, dass die sorgfältige Berichterstattung nicht Aufgabe eines Titelblattes sei, dort könne man „die Dinge plakativ darstellen, zuspitzen und ‚auf den Punkt bringen’, während in den Artikeln der Stand der Behandlungsmöglichkeit „richtig und differenziert dargestellt“ sei. Der Beschwerdeausschuss des Presserates sah die Beschwerde als begründet an und sprach der Zeitschrift eine Missbilligung aus. „Nach Ansicht des Ausschusses kann die Erwartungshaltung, die bei den Patienten durch die Schlagzeile entsteht, durch die Realität nicht untermauert werden. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Beschwerdeausschuss auch die suggestive Wirkung, die von der Titelblatt-Veröffentlichung ausgeht. Dem dadurch erzeugten Erwartungs- und Hoffnungsdruck werden die tatsächlichen Forschungserkenntnisse nicht gerecht.“ (S. 109) Die Texte mit den Fallbeispielen sind so angeordnet, dass erst der Fall dargestellt, mit Zusatzinformationen versehen und mit Anregungen und Fragen abgeschlossen wird, um anschließend einige Seiten weiter das Urteil des Beschwerdeausschusses abzudrucken. Das mag einigen zu didaktisch erscheinen, erzeugt aber eine gewisse Spannung beim Lesen, die den Unterhaltungswert des Buches fördert – was nicht ironisch gemeint ist. Im Übrigen passt dieser pädagogische Aufbau in die Buchreihe, in der es erscheint, die der Förderung des journalistischen Nachwuchses dienen soll. Ein anderer Fall steht unter dem Kapitel „Sensation und Gewalt“. Da das Analysevermögen vieler Journalisten nicht oft betätigt werden kann, das Blatt täglich gefüllt werden muss und „Kinderschänder und Mörder“ nach „den Aufmerksamkeitsgesetzen der Medien willkommene Quotentreiber“ sind (S. 178), werden einzelne Kriminalfälle oder Tötungsdelikte oft aufgeputscht und zur Sensation stilisiert. So verstieß ein Mitarbeiter einer Boulevardzeitung gegen den Pressekodex, als er sich durch polizeiliche Absperrmaßnahmen zu einem Selbstmordopfer schlich, um ein Bild von der verkohlten Leiche einer jungen Frau zu schießen. Der Pressekodex fordert auf, über Selbsttötungen mit „Zurückhaltung“ zu berichten, und stellt fest: Sensationsbedürfnisse können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen.“ (S. 183) Entsprechend wurde der Zeitung eine „öffentliche Rüge“ ausgesprochen, die sie an gleicher Stelle wie das beanstandete Foto abdrucken musste. Gerade dieses Beispiel zeigt aber auch, dass eine Presse, die auf Sensationen angewiesen ist, systematisch in Versuchung gerät, den Pressekodex ihrer Standesorganisation zu missachten. Die gesellschaftlichen Folgen der Sensationspresse werden zwar in dem Buch teilweise genannt, aber ohne auf die langzeitlichen Konsequenzen einzugehen. „Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung glauben laut einer TNS Infratest-Umfrage, dass die Kriminalität in den vergangenen zehn Jahren massiv angestiegen sei.“ (S. 178) Tatsächlich sei die Kriminalität in weiten Bereichen laut Statistik gesunken. Aber auf diese „gefühlte Kriminalitätsentwicklung“ kochen solche Leute wie der Bundesinnenminister Schäuble oder sein bayrischer Kollege Bechstein ihr Süppchen, um immer neue Sicherheitsgesetze zu erlassen oder, wie Schily, rechtswidrig selbst Redaktionsräume durchsuchen zu lassen (vgl. das Cicerourteil des BVG) – darüber steht nichts in dem Buch. Die „Ethik des Redaktionsalltags“ zeigt die Notwendigkeit auf, den gewerblichen Medien moralische Schranken zu setzen, sie thematisiert aber kaum das grundsätzliche Problem eines auf Gewinn angewiesenen Medienwesens, sondern behandelt nur die unmittelbaren Folgen und Auswüchse. Die Kritik an der bürgerlichen Presse darf für eine linke Gegenöffentlichkeit, will sie nicht gettoisiert werden, auch kein Grund sein, sich nicht auch der bürgerlichen Medien zu bedienen oder mit bürgerlichen Journalisten zusammenzuarbeiten. Und was wären wir ohne die Informationen der bürgerlichen Medien! An deren Seriosität muss auch die Linke Interesse haben. Gegen staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit oder gegen die Zerfallsformen der bürgerlichen Öffentlichkeit wehren sich auch bürgerliche Journalisten. Sie sind dabei zu unterstützen. Was die neueste Tendenz im Geschäftsgebaren der Medienkonzerne ist, hat jüngst Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ dargestellt. Unter der Überschrift: „Sind wir Journalisten oder Trommelaffen? Früher war die Pressefreiheit vom Staat bedroht. Heute besorgen die Medien das selbst“, schildert er die Zukunft des „Manchester-Journalismus“. Der Verleger der Ruhr-Nachrichten hat eine komplette Lokalredaktion vor die Tür gesetzt und sie durch schlechter bezahlte und weniger qualifizierte Leute ausgetauscht. Der Verleger Lensing-Wolf drückt dies so aus: „Outsourcing ist Teil einer Flexibilität, die wir zur Modernisierung brauchen.“ (www.sueddeutsche.de vom 1.3.07) Prantl kommentiert diese neoliberale Modernisierung: „Der Manchester-Journalist ist demnach ein Trommelaffe: Mit den Händen patscht er die Tschinellen zusammen, mit den Ellbogen schlägt er die Trommel auf seinem Rücken, an die Füße kriegt er ein paar Klappern und Rasseln. So kehrt der Journalismus zurück zu seinen marktschreierischen Ursprüngen auf den Marktplätzen des Mittelalters.“ (Ebda.) Dass diese oder ähnliche Konzeptionen im derzeitigen „Medien-Management große Sympathien“ genießen, macht er an anderen Beispielen deutlich. Der Pressekodex unterstellt als Aufgabe der Presse, dass sie das Informationsbedürfnis der Bürger befriedige, dagegen tendiert das „redaktionelle Zeitungsbüro“ des „Journalist als Trommelaffe“ zum Gegenteil. „Schon heute sagt jeder dritte Journalist, dass die Zeit fehle, ‚um sich über ein Thema auf dem Laufenden zu halten’. Dadurch ist – und das mitnichten nur bei vielen kleinen lokalen Blättern – eine zentrale journalistische Aufgabe gefährdet: das Aufspüren von Entwicklungen, das Sammeln, Bewerten und Ausbreiten von Fakten und Meinungen. Wenn Sie uns Ihren Kommentar schreiben
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